Bekanntlich ist der gutgläubige Erwerb eines Fahrzeugs ausgeschlossen, wenn dem Eigentümer die Sache gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst abhandengekommen ist. Letzteres ist dann der Fall, wenn der Eigentümer den Besitz an der Sache „unfreiwillig“ verliert. Zwischenzeitlich hat der Bundesgerichtshof (BGH, Az.: V ZR 8/19) für den Fall, dass ein Autohändler einem vermeintlichen Kaufinteressenten ein Fahrzeug samt Schlüssel zu einer unbegleiteten Probefahrt auf öffentlichen Straßen überlässt, entschieden, dass der Autohändler dem vermeintlichen Kaufinteressenten in diesem Falle in der Regel die tatsächliche Sachherrschaft über das Fahrzeug überträgt und seinen Besitz damit „freiwillig“ aufgibt, so dass ein Dritter das unterschlagene Fahrzeug rechtmäßig erwerben kann, sofern dieser beim Erwerb in gutem Glauben war. Das Erstellen von Kopien der Ausweisdokumente und die Angabe einer Mobilfunknummer des vermeintlichen Kaufinteressenten verhindern weder einen Besitzverlust des Autohändlers noch schützen sie ihn vor einem gutgläubigen Erwerb des unterschlagenen Fahrzeugs durch einen Dritten. Schutz vor einem rechtmäßigen Weiterverkauf bieten nach der BGH-Rechtsprechung nur das begleitete Fahren (hier gilt es allerdings mögliche Gefahren für die Begleitperson abzuwägen) oder das (temporäre) Tracking des Fahrzeugs (auf das der Kaufinteressent aus Datenschutzgründen hinzuweisen ist).
In seinem Urteil hat sich das Oberlandesgericht (OLG, Az.: 7 U 974/21) Celle nunmehr mit der Frage befasst, ob der Autohändler eine freiwillige Besitzaufgabe – trotz Aushändigung des Fahrzeugs samt Schlüssel – verhindern kann, wenn er das Fahrzeug zu Ortungszwecken mit zwei SIM-Karten ausstattet. Streitentscheidend war außerdem die Frage, ob der spätere Käufer beim Erwerb des unterschlagenen Fahrzeugs in gutem Glauben war.
Zusammenfassung:
1. Die Überlassung eines Fahrzeugs an einen (vermeintlichen) Kaufinteressenten für eine unbegleitete Probefahrt auf öffentlichen Straßen für eine Dauer von einer Stunde, führt nur zu einer sog. „Besitzlockerung“ und nicht zu einem „freiwilligen Besitzverlust“, wenn das Fahrzeug durch technische Vorrichtungen, die einer Begleitung vergleichbar sind, gesichert wird.
2. Der Einbau von zwei SIM-Karten in das Probefahrzeug ist einer Begleitung jedenfalls dann nicht vergleichbar, wenn dem Eigentümer hierdurch keine eigene Überwachung / Ortung ermöglicht wird, sondern nur der Polizei mit Unterstützung der Fahrzeugherstellerin. Ob die bloße Ortungsmöglichkeit überhaupt einer Begleitung vergleichbar sein kann, ließ das OLG Celle offen.
3. Schutz vor einem rechtmäßigen Weiterverkauf soll nach der BGH-Rechtsprechung neben dem begleiteten Fahren auch das (temporäre) Tracking des Fahrzeugs bieten. Unklar ist nach wie vor, welche konkreten Anforderungen ein solches Tracking erfüllen muss, damit sich Autohändler für den Fall wirksam schützen können, dass ein vermeintlicher Kaufinteressent das ihm zu einer unbegleiteten Probefahrt überlassene Fahrzeug weiterverkauft und ein Dritter an diesem gutgläubig Eigentum erwirbt.
4. Bei der Beurteilung der Frage, ob der Käufer wegen entsprechender Verdachtsmomente zu Nachforschungen verpflichtet war und deren Vornahme grob fahrlässig unterlassen hat, spielt die Qualität der Fälschungen eine entscheidende Rolle. Wurden dem Käufer professionelle Fälschungen der Fahrzeugpapiere auf echten (Blanko-)Dokumenten übergeben, bei denen der Name des Verkäufers mit den Eintragungen in den Fahrzeugpapieren übereinstimmt und hat sich der Käufer außerdem von der Identität des Verkäufers mittels Vorlage des Personalausweises überzeugt (wobei kleinere, auffällige Abweichungen ggf. plausibel erklärt wurden) liegt es nahe, dass der Käufer nicht grob fahrlässig gehandelt hat.
5. Bei einem Privatverkauf, bei dem der Veräußerer in der Zulassungsbescheinigung Teil II eingetragen sein muss, spielen Abweichungen bei den Adressdaten, den Unterschriften oder der angegebenen Fahrzeugausstattung in der Regel keine Rolle, wenn der Käufer keine Zweifel an der Identität des Verkäufers haben musste. Unvollständigkeiten oder unübliche Passagen in den Dokumenten sind sogar gänzlich ungeeignet, einen Verdacht gegen die Eigentümerstellung zu begründen.
6. Das Verlangen nach Barzahlung spielt beim Gebrauchtwagenkauf dann keine Rolle, wenn sich der Kaufpreis in einer üblichen Größenordnung bewegt.
7. Der Käufer handelt auch dann nicht grob fahrlässig, wenn der Verkäufer die fehlende Übergabe des Zweitschlüssels plausibel erklären kann.
(951-00/Julia Cabanis)