Laut der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für 2023 setzt sich der Trend des Vorjahres leider fort. Nach einem Anstieg der erfassten Straftaten im Jahr 2022 um 11,5 Prozent gab es in 2023 einen nochmaligen um 5,5 Prozent. Betrachtet man die Fallzahlen im Langzeitvergleich, sind sie 2023 auf dem höchsten Stand seit dem Berichtsjahr 2016. Nach Auffassung der Kriminalitätsforscher des BKA sind für den Anstieg der Fall- und Tatverdächtigenzahlen vor allem drei Faktoren verantwortlich:
• Weiter erhöhte Mobilität: Insbesondere die Jahre 2020 und 2021 waren durch die Corona-Restriktionen und zeitweise auch geschlossene Grenzen gekennzeichnet. Mit dem Wegfall der letzten Corona-bedingten Einschränkungen im Frühjahr 2023 sind die Menschen wieder mehr unterwegs. Dadurch ergeben sich mehr „Tatgelegenheiten und -anlässe.“
• Wirtschaftliche und soziale Belastungen: In der Bevölkerung wurde über weite Teile der Jahre 2022 und 2023 die Inflation als wesentliches Problem wahrgenommen. Das war in den Jahren davor nicht der Fall und steht in Zusammenhang mit steigenden Fall- und Tatverdächtigenzahlen, beispielsweise bei Gewaltkriminalität. Hinzu kommen Belastungen im sozialen Bereich. Insbesondere Kinder und Jugendliche haben mit erhöhten psychischen Belastungen als Folge der Corona-Maßnahmen zu kämpfen, was sich auch auf ihre Anfälligkeit, Straftaten zu begehen, auswirken kann.
• Migration: Deutschland verzeichnet aktuell eine hohe Zuwanderungsrate. Dadurch steigt die Bevölkerungszahl an und der Anteil der Nichtdeutschen an der Gesamtgesellschaft nimmt zu. Es ist plausibel, dass sich dies auch in einer steigenden Zahl nichtdeutscher Tatverdächtiger ausdrückt.
• Die BKA-Forscher betonen, dass die genannten zentralen Erklärungsansätze auf alle Altersgruppen Anwendung finden. Bei (älteren) Kindern und Jugendlichen können sie aber in besonderem Maße relevant sein. Bei der Jugendkriminalität gibt es offenbar so etwas wie einen Nachholeffekt nach Corona.
Dies alles vorausgeschickt, lässt sich die Entwicklung auch nachvollziehen bei dem Delikt, mit dessen Entwicklung wir uns seit Jahren zwangsläufig am intensivsten befassen, den Überfällen auf Tankstellen (Straftatenschlüssel 212200). Zunächst einmal muss man festhalten, dass die Zahl der Überfälle auf Tankstellen nochmals um acht Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 678 stieg, nachdem sie bereits 2022 um 21,5 Prozent auf 628 angewachsen war – allerdings gegenüber einem historischen Minimum von 517 Fällen in 2021.
Befasst man sich intensiver mit den Zahlen, auch denen der einzelnen Bundesländer, erscheinen die vom BKA genannten Faktoren für den allgemeinen Anstieg der Straftaten auch in Bezug auf die Tankstellenüberfälle als plausibel:
– Die Menschen sind wieder mehr unterwegs, die Grenzen sind wieder offen – eine mögliche Erklärung dafür, dass beispielsweise in Baden-Württemberg die Zahl der Fälle von 47 auf 81 gestiegen ist.
Die offenen Grenzen haben möglicherweise neben der hohen Zuwanderungsrate dazu beigetragen, dass der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger im letzten Jahr bei 31 Prozent lag, ca. zehn Prozentpunkte mehr als im langjährigen Durchschnitt. Zu den nichtdeutschen Tatverdächtigen gehören eben auch diejenigen, die nicht in Deutschland leben, sondern „lediglich“ zur Tatausführung nach Deutschland ein- und dann wieder zurückreisen.
– Egal, was man von der Vermutung hält, dass „die erhöhten psychischen Belastungen als Folge der Corona- Maßnahmen“ Jugendliche und junge Erwachsene anfälliger gemacht hat, Straftaten zu begehen: Fest steht, dass im letzten Jahr 57,3 aller eines Tankstellenraubs Tatverdächtigen unter 21 Jahre alt waren, 27,5 Prozent waren Jugendliche im Alter zwischen 14 und 18 Jahren. Insbesondere die letzte Zahl ist ein absoluter trauriger Höchstwert.
Wie in den Vorjahren zeigt sich, dass das Risiko für Tankstellenbetreiber und –angestellte, Opfer eines Raubüber- falls zu werden, entscheidend damit zusammenhängt, ob sich die Tankstelle in einem Bundesland mit Ballungsräumen befindet, obwohl sich die Unterschiede verringert haben. Weiterhin am höchsten ist das Risiko in Berlin und Bremen, trotz der Tatsache, dass sich in beiden Stadtstaaten die Zahl der Fälle verringert hat. Am niedrigsten ist das Risiko in Bayern und Thüringen. Alle Daten finden sich in den Übersichten, die auf www.kfz-bw.de/monatsdienst heruntergeladen werden können.
Zu diesen Daten gehört auch die Aufklärungsquote. Im Schnitt des Bundesgebiets lag sie im letzten Jahr bei 64,6 Prozent, was im Langfristvergleich leider schon ein guter Wert ist. Zu den Aufklärungsquoten wie immer der Hinweis: Aufgeklärt bedeutet in der Statistik, dass nach polizeilicher Einschätzung innerhalb des Berichtszeitraums ein Tatverdächtiger mit hinreichendem Tatverdacht ermittelt wurde. Fälle, die erst in den folgenden Jahren aufgeklärt werden, gehen nicht in die Statistik ein, auch nicht in die des Folgejahres. Auf der anderen Seite gibt es speziell bei Tankstellenüberfällen häufig Serientäter. Mit nur einem ermittelten Tatverdächtigen steigt somit die Aufklärungsquote stark an. Diese Zahlen sind also nur sehr begrenzt zur Einschätzung der Qualität polizeilicher Arbeit geeignet – und entsprechen manchmal auch nicht der Realität. So vermeldet das LKA Mecklenburg-Vorpommern für das Jahr 2023 vier Raubüberfälle auf Tankstellen, die sämtlich aufgeklärt wurden. Aktuell wird in der Presse über einen Prozess vor dem Landgericht Rostock gegen einen Mann berichtet, dem vorgeworfen wird, im Dezember 2023 sieben (!) Tankstellen in Mecklenburg-Vorpommern überfallen zu haben und der bei der letzten Tat Mitte Dezember 2023 festgenommen werden konnte. Die Anfrage des ZTG, warum diese Taten nicht in die Statistik eingeflossen sind, blieb bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.
Wie in jedem Jahr der gleiche Hinweis von uns, gleichgültig ob die Überfallzahlen sinken oder steigen: Die entsprechenden Sicherheitsempfehlungen der Polizei, Berufsgenossenschaften, aber auch der zuständigen Abteilungen der Mineralölgesellschaften müssen immer wieder neu umgesetzt werden. Vorbeugende Maßnahmen zur Verhinderung von Überfällen, aber auch das richtige Verhalten während eines Überfalls, sollten schon allein angesichts der großen Fluktuation unter den Mitarbeitern immer wieder eingeübt werden.