Um Baden-Württemberg auf eine mögliche Gasmangellage im Herbst und Winter vorzubereiten, hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann am 25. Juli 2022 Vertreter von Dachverbänden der Wirtschaft sowie von Handwerk, Kammern, Gewerkschaften, Kommunen und Energieversorgern ins Neue Schloss in Stuttgart zum „Krisengipfel Gas“ eingeladen. Auch an uns wurden bereits viele Fragen besorgter Mitgliedsbetriebe herangetragen, gerade aus größeren Autohausgruppen.
Unser Dachverband, die Unternehmer-Baden-Württemberg (UBW), wurden bei der Veranstaltung durch ihren Präsidenten Dr. Rainer Dulger vertreten. Die UBW hatten sich im Vorfeld für eine Aufforderung an den Bund eingesetzt, die Priorisierungs-Regeln im Fall einer Gasmangellage so anzupassen, dass alle Teile der Gesellschaft entsprechend ihrer Belastbarkeit in die Pflicht genommen werden können.
Das Handwerk war vertreten durch BWHT-Präsident Rainer Reichhold sowie den Vorsitzenden des SHK-Handwerks (Sanitär, Heizung, Klima) Joachim Butz. Herr Reichhold vertrat die Wirtschaft auch neben BWIHK-Vizepräsident Erbe und EnBW-CEO Mastiaux auf der anschließenden Pressekonferenz. Wir hatten im Vorfeld des Gipfels Sorgen und Fragen der Kfz- und Tankstellenbetriebe gesammelt und diese über die Dachverbände eingespeist.
Zu Beginn der ungefähr dreistündigen Sitzung bat MP Kretschmann darum, nicht zu berichten, was man in den letzten Jahren alles falsch gemacht habe, sondern konstruktive Vorschläge zur aktuellen Lage zu machen. Einem längeren einführenden Vortrag vom Chef der Bundesnetzagentur Müller, der den Fokus ausdrücklich auch auf den Winter 2023/2024 legte, folgten zahlreiche Aussagen der beteiligten Verbände, die sich überwiegend entweder mit technischen Gegebenheiten (fuel switch, also der Möglichkeit einer Änderung der Brennstoffe) oder insbesondere der Prioritätenfrage (private Haushalte zuletzt?) befassten. In letzter Frage bestand Einigkeit, dass eine schwarz-weiß-Lösung (nur private Haushalte zuletzt oder Wirtschaft zuletzt) nicht zielführend sei. Sollte es tatsächlich zu einer Gasblockade kommen, müsse ein gemischter Weg eingeschlagen werden, der den geringstmöglichen Schaden bei den Unternehmen und den Bürgerinnen und Bürgern erziele.
Die Frage, ob es zu einer Gas- (und eventuell) Strommangellage kommt, wurde unterschiedlich diskutiert. Insgesamt bestand große Hoffnung, bei weiteren Sparanstrengungen aller und einer weiteren Lieferung von 40 Prozent der maximalen Menge über Nord-Stream 1 den nächsten Winter zu überstehen; offen blieb die Frage nach dem Winter 2023/2024 (mittlerweile wurde allerdings bekannt, dass die Liefermenge von Gazprom auf nur noch 20 Prozent reduziert wurde!!). Zwar wurde von keinem der Teilnehmer eine verlängerte Laufzeit der Kernkraftwerke gefordert; allerdings stand dieser „Elefant“ nach UBW-Angaben für nahezu jeden spürbar im Raum. Nachfolgend wurde in Redebeiträgen gefordert, bei der Suche keinerlei Denkverboten zu unterliegen.
Die Gemeinsame Erklärung, die Pressemitteilung der Landesregierung und den 5-Punkte-Selbstverpflichtungs-Plan des Landes kann auf www.kfz-bw.de unter Mitglieder / Unser Service für Mitglieder / Downloads / Monatsdienst heruntergeladen werden. Dort finden Sie auch einen Bericht der Stuttgarter Zeitung – sowie hier einen Link zum ZDF-heute journal vom 24. Juli (mit O-Ton Herr Reichhold): https://www.zdf.de/nachrichten/heute-journal/heute-journal-vom-24-juli-2022-100.html#xtor=CS5-95 (bei Minute 19‘08“) sowie einen Artikel des SWR Online-Angebots (mit Zitat BWHT-Hauptgeschäftsführer Peter Haas): https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/gas-gipfel-bw-100.html Mit dieser Medienarbeit hat der BWHT die handwerkspolitischen Interessen im Vorfeld des Gipfels noch einmal ins Spotlight gesetzt.
Klar ist: Das Handwerk muss nach Kräften versuchen, die Energiesparkampagne des Landes (Motto „Cleverländ – Zusammen Energie sparen“) beim Endkunden mit konkreten Maßnahmen (Heizungen) und Infos zu unterstützen – und gleichzeitig beim eigenen Energieverbrauch nochmals „jeden Stein umdrehen“. Um eine Mängellage im Herbst zu vermeiden, bei der viele ohne lange Vorbereitung „abgeschaltet“ oder reduziert werden in der Versorgung, muss prophylaktisch gespart werden. Zielvorgabe der Bundesnetzagentur: 20 Prozent. Eine Branchenpriorisierung, wie der BWHT sie beim Gasgipfel (analog zur Corona-Krise) nochmals gefordert hat (z.B. für die Lebensmittelproduktion, die Dienstleister der kritischen Infrastruktur etc.), scheint laut Bundesnetzagentur kaum möglich, weil bisher alle Branchen, die bei ihr vorsprachen, sich als „irgendwie kritisch und systemrelevant“ darstellten und die gesetzlichen Vorgaben dies gar nicht hergeben. Auch eine bessere Planbarkeit von Versorgungsreduzierungen wurde nicht in Aussicht gestellt, weil die Bundesnetzagentur selbst erst 24 Stunden vorher wüsste, wie sich die Netze tatsächlich verhalten.
Neben der fehlenden Planbarkeit ist daher problematisch, dass im Fall der Fälle faktisch der Netzbetreiber nach den gesetzlichen Vorgaben und denen der Bundesnetzagentur deshalb über die Priorisierung nach Kriterien wie bspw. Verbrauch, Witterung usw. entscheidet. Positiv daran ist, dass Kfz- und Tankstellenbetriebe in der Regel keine Großverbraucher sind und unter den maßgeblichen Schwellenwerten liegen, so dass sie im Vergleich erst spät von Abschaltungen betroffen sein dürften.
Unser Eindruck aus den verschiedenen Berichten: Keine guten Aussichten für einen einigermaßen sortiert regulierten Herbst. Daher wirkt der Appell zum rechtzeitigen Einstellen auf konzertiertes Sparen eindrücklich und nachvollziehbar. Auch gibt es inzwischen die Bestätigung einzelner Versorger aus BaWü, dass die Systemrelevanz nach den gesetzlichen Regelungen und den Vorgaben der Bundesnetzagentur keine Rolle bei der Verteilung von Gas spielen wird.
(265-01/Carsten Beuß)