Bereits im vorletzten Jahr hat eine Entscheidung des Landgerichts (LG, Az.: 404 HKO 98/19) Hamburg aufhorchen lassen. Das Gericht sprach dem gekündigten Betreiber einer Tankstelle einen Ausgleichsanspruch zu, obwohl die Tankstelle von der Mineralölgesellschaft nicht weiter betrieben und nicht an einen weiteren, neuen Handelsvertreter übertragen wurde. Zu der Entscheidung des LG Hamburg liegt zwischenzeitlich die Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichts (OLG, Az.: 15 U 177/20) Hamburg vor. Das Urteil des LG wurde vollumfänglich bestätigt.
Den Entscheidungen lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Tankstellenbetreiber hatte von der Mineralölgesellschaft eine Tankstelle neben einem Supermarkt gepachtet. Die Mineralölgesellschaft ihrerseits hatte das Betriebsgelände gemietet. Der Vertrag zwischen dem Grundstückseigentümer und der Mineralölgesellschaft endete zum 28.02.2019. Im September 2018 verkaufte die Mineralölgesellschaft das Tankstellengebäude nebst den dazugehörigen Geräten und Anlagen an einen Dritten, der beabsichtigte, auf dem Gelände und mit den vorhandenen Aufbauten ebenfalls eine Tankstelle zu betreiben. Als Kaufpreis wurde ein Betrag von 50.000 Euro vereinbart. Der Vertrag zwischen der Mineralölgesellschaft und dem bisherigen Betreiber der Tankstelle wurde von der Mineralölgesellschaft gekündigt.
Nach dem Vertragsende machte der Tankstellenbetreiber gegenüber der Mineralölgesellschaft einen Handelsvertreterausgleichsanspruch auf der Basis der üblichen Berechnungsmethode gemäß den bisherigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes (BGH) geltend. In dem Rechtstreit vor dem LG Hamburg und in dem späteren Berufungsrechtstreit machte die Mineralölgesellschaft geltend, dem ehemaligen Pächter stünde ein Ausgleichsanspruch nicht zu, da ihr, der Mineralölgesellschaft, aus den von dem Handelsvertreter geworbenen Stammkunden keine Vorteile mehr verblieben seien. Der Betrieb der Tankstelle würde von ihr nicht fortgeführt, zwischen dem nachfolgenden Betreiber und ihr sei eine Vereinbarung über die vorhandenen Stammkunden ausdrücklich nicht getroffen worden. Es habe lediglich eine vertragliche Vereinbarung zu den Aufbauten, Anlagen und Geräten gegeben.
Das LG Hamburg und ihm folgend das OLG Hamburg wiesen diese Argumentation der Mineralölgesellschaft zurück. Sie stellten fest, dass es auf die Frage, ob die Mineralölgesellschaft den Betrieb der Tankstelle selbst fortsetze, dann nicht ankomme, wenn der Betrieb an einen Dritten veräußert wird. In diesem Fall spräche eine tatsächliche Vermutung dafür, dass ein Teil des Kaufpreises in Anbetracht des übertragenen Stammkundenanteils vereinbart und von dem Dritten geleistet würde. Das gelte auch für den Fall, dass der Vertrag zwischen der Mineralölgesellschaft und dem nachfolgenden Unternehmen hierzu keinerlei Vereinbarungen enthielte. Es reiche aus, wenn der entsprechende Mehrwert durch die Übertragung des Stammkundenumsatzanteils unausgesprochen oder auch nur indirekt in die Preisfindung eingeflossen sei.
Auch sei der Ausgleichsanspruch nicht durch den für die Übertragung des Betriebes vereinbarten Kaufpreis begrenzt. Das gelte jedenfalls dann, wenn wie im vorliegenden Sachverhalt zu berücksichtigen sei, dass der Käufer nicht nur die Aufbauten und Geräte übernommen habe, sondern auch verpflichtet sei, den im Falle der vollständigen Beendigung des Betriebs einer Tankstelle notwendigen Rückbau vorzunehmen. In diesem Fall müssten die entsprechenden Kosten, die von der Mineralölgesellschaft andernfalls zu tragen gewesen wären, ebenfalls berücksichtigt werden.
Die Entscheidungen aus Hamburg sind zu begrüßen. Sie stellen ein weiteres Mal klar, dass der im Rahmen des dem Handelsvertreter zustehenden Ausgleichsanspruchs zu vergütende Vorteil der Mineralölgesellschaft nicht dadurch wegfällt, dass die Tankstelle von der Mineralölgesellschaft selbst nicht weiterbetrieben wird. Gerade dann, wenn der Betrieb veräußert wird, bestimmt sich der Kaufpreis nicht allein an den übertragenen Aufbauten und der Tankstellentechnik. Vielmehr wird sich der Preis sowohl aus der Lage der Tankstellen, den bisher an der Tankstelle erzielten Umsätzen und dem zukünftig zu erwartenden Kundenpotenzial ergeben. LG und OLG Hamburg haben dies nochmals ausdrücklich festgehalten. Danach können sich Mineralölgesellschaften ihrer Verpflichtung zur Zahlung des Ausgleichsanspruchs nicht dadurch entziehen, dass sie behaupten, der Betrieb der Tankstelle durch sie sei eingestellt worden.
(TS 451/Julia Cabanis)