In seinem Urteil hat sich der Bundesgerichtshof (BGH, Az. VIII ZR 111/20) u.a. mit der wichtigen Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen der Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs auch ohne Nachfristsetzung berechtigt ist, von dem mit einem Autohändler abgeschlossenen Kaufvertrag zurückzutreten.
Zusammenfassung:
1. Ist davon auszugehen, dass ein weiteres arglistiges Verhalten der VW AG aus objektiver Sicht auszuschließen ist, kann eine „Unzumutbarkeit der Nachbesserung“ und damit eine Entbehrlichkeit der Nachfristsetzung nicht auf das frühere arglistige Vorgehen der VW AG gestützt werden.
2. Dass die Nachbesserung für den Käufer unzumutbar war, kann nicht auf die Annahme gestützt werden, das angeblich nach der allgemeinen Lebenserfahrung eine tatsächliche Vermutung dafürspricht, dass das Aufspielen des Software-Updates zu anderen Mängeln (höherer Verbrauch, kürzere Lebensdauer des Fahrzeugs, erhöhter Verschleiß, verminderte Leistung, schlechtere Emissionen) führt.
3. Der Verkäufer ist nicht verpflichtet, Einzelheiten zu der Motorsteuerungssoftware sowie deren Wirkungsweise vorzutragen.
4. Selbst wenn die Nacherfüllung für den Käufer im Einzelfall unzumutbar war, überwiegt das Interesse des Verkäufers an der Vornahme von Nachbesserungsmaßnahmen in der Regel dann, wenn ihm das Vorhandensein der unzulässigen Abschalteinrichtung vor oder bei Vertragsschluss nicht bekannt war und er daher nicht die Möglichkeit hatte, den Mangel frühzeitig zu beseitigen.
Der bloße Verdacht, dass das Software-Update zu anderen Nachteilen beim Betrieb des Fahrzeugs führen könnte, reicht nicht aus, um das Interesse des Verkäufers an einer Nachbesserung gegenüber dem Interesse des Käufers an einem sofortigen Rücktritt vom Kaufvertrag zurücktreten zu lassen.
5. Die vorliegende BGH-Rechtsprechung ist für alle noch nicht rechtswirksam entschiedenen Rechtsstreite zur Sachmangelhaftung im Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal maßgeblich, in denen ein Käufer ohne Nachfristsetzung die Rückabwicklung des Kaufvertrages begehrt. Dass sich die Rechtslage zum 1. Januar 2022 dahingehend geändert hat, dass Verbraucher Verkäufern keine Nacherfüllungsfrist mehr setzen müssen, kommt in diesen Fällen noch nicht zum Tragen. Das geänderte Sachmangelhaftungsrecht gilt erst für Fahrzeuge, die nach dem 31. Dezember 2021 erworben wurden.
6. Ob die in der mangelhaften Lieferung des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs liegende Pflichtverletzung als unerheblich einzustufen ist, hängt davon ab, ob die unzulässige Abschalteinrichtung mit geringem Kostenaufwand und ohne Auftreten von (nicht zu vernachlässigenden) Folgemängeln beseitigt werden kann. Hierfür trägt der Verkäufer die Darlegungs- und Beweislast.
7. Dass der Käufer sich geweigert hat, das vom Verkäufer angebotene Software-Update aufspielen zu lassen, führt nicht zum Ausschluss des Rücktrittrechts.
(933-16/Julia Cabanis)