In einem aktuellen Beschluss hat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG, Az: 1 ABR 22/21) im Rahmen eines Verfahrens zur betrieblichen Mitbestimmung auch zum Thema „elektronische Zeiterfassung durch den Arbeitgeber“ geäußert und sinngemäß folgendes beschlossen:
Ein Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet, ein Zeiterfassungs-System einzuführen, mit welchem die von Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Aufgrund dieser gesetzlichen Pflicht kann jedoch der Betriebsrat die betriebliche Einführung eines solchen (elektronischen) Arbeitszeiterfassung-Systems nicht über sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) bzw. nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen.
Fazit:
1. Das obige BAG-Urteil ist überraschend und nur schwer nachvollziehbar. Denn unabhängig von diesem neuen BAG-Urteil gibt es bereits jetzt umfassende Verpflichtungen zur Arbeitszeitaufzeichnung (z.B. nach dem Mindestlohngesetz, dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz oder dem Arbeitszeitgesetz).
2. Unverständlicherweise greift das BAG mit seiner unionskonformen Auslegung des § 3 Abs. 2 Ziff. 1 ArbSchG und der daraus hergeleiteten Pflicht zur Arbeitszeiterfassung in gewisser Weise auch in den aktuellen Gesetzgebungsprozess ein und kommt dem Ergebnis der Koalitions- und Sozialpartnergespräche zur EuGH-Entscheidung „CCOO“ zuvor. Im anstehenden Gesetzgebungsverfahren wird dann aber in Bezug auf § 3 ArbSchG zu berücksichtigen sein, dass dort auch die Art der Tätigkeit und die Zahl der Beschäftigten eine Rolle spielen.
3. Außerdem ist die Pressemitteilung des BAG ziemlich knapp und bleibt damit weitgehend unbestimmt. Ohne Kenntnis der genauen Beschlussgründe können der Pressemitteilung des BAG bis dato nur zwei gesicherte Feststellungen entnommen werden: Erstens steht dem Betriebsrat – entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanz (LAG Hamm) – eben kein Initiativrecht zur Einführung eines Arbeitszeiterfassung-Systems zu. Zweitens sieht das BAG – anders als der EuGH – sogar eine gesetzliche Pflicht des Arbeitgebers, ein System der Erfassung der Arbeitszeit zur Verfügung zu stellen.
4. Deshalb lassen sich die Konsequenzen aus dem BAG-Urteil abschließend erst nach dem Vorliegen der ausführlichen bzw. ausformulierten Urteilsgründe beurteilen. So gibt es in der Pressemitteilung weder Hinweise bzw. Vorgaben zur Art der Erfassung (z.B. ob elektronisch oder händisch) noch solche zum maßgeblichen Zeitpunkt der Erfassungspflicht. Gleiches gilt für die Beurteilung der Frage, ob der Arbeitgeber weiterhin die Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit an den Arbeitnehmer delegieren kann.
5. Ergäbe sich aus den Beschlussgründen jedoch eine Ausweitung der Arbeitszeiterfassung auf sämtliche Beschäftigte aller Branchen würde dies die Bürokratielasten für (kleine und mittlere) Unternehmen erheblich erhöhen. Dies würde insbesondere dann gelten, wenn der Arbeitgeber nicht nur die über die achte Stunde hinausgehende Arbeitszeit, sondern die gesamte tägliche Arbeitszeit des Arbeitnehmers systematisch erfassen müsste. Auch ein „Aus“ vieler flexibler Arbeitszeitabreden (z.B. die Vertrauensarbeitszeit) wäre dann zu befürchten.
(221-88/Julia Cabanis)