Bis zum Jahr 2018 waren Arbeitgeber gegenüber Arbeitnehmern, die ihren Urlaub noch nicht oder noch nicht vollständig genommen hatten, in einer relativ komfortablen Situation. Es galt einfach §7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz. Danach verfällt Urlaub, der in einem Urlaubsjahr nicht beantragt wurde, zum Jahresende. Nur in Ausnahmefällen kann der Urlaub auf das nächste Jahr übertragen werden – allerdings nur bis zum 31. März des Folgejahres.
Nach zwei Urteilen des Europäischen Gerichtshofes (EUGH) aus dem November 2018 und einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) im Februar hatte diese Regelung eine Einschränkung bekommen. Nach Ansicht der Gerichte verstößt der automatische Verlust des Anspruchs auf Erholungsurlaub gegen das höherrangige Unionsrecht. Die Folge: Arbeitgeber sind zwar nicht gezwungen, den Urlaub gegen den Willen der Arbeitnehmer anzuordnen. Voraussetzung für den Verfall nicht genommenen Urlaubs zum Jahresende ist jedoch seitdem, dass Arbeitgeber ihre Angestellten förmlich darüber belehrt haben, dass der Urlaub zu nehmen ist und für den Fall, dass er nicht beantragt werde, auch verfalle.
Wir wiederholen diese Hinweise, weil der EUGH in drei aktuellen Entscheidungen vom 22. September seine Haltung zur Hinweispflicht des Arbeitgebers auf den drohenden Verfall des Urlaubs konsequent beibehalten hat. Mit den Entscheidungen haben sich die Konsequenzen für Arbeitgeber, die ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkommen, noch verschärft. Alle drei Fälle waren dem EUGH vom Bundesarbeitsgericht vorgelegt worden. Das Fazit der Urteile vorweg: Der Urlaubsanspruch verfällt und verjährt nicht, wenn der Arbeitgeber seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen ist.
In zwei Fällen hatten Arbeitnehmer geltend gemacht, dass ihre Urlaubsansprüche aus den Zeiten, in denen sie wegen Langzeiterkrankung bzw. wegen Bezugs von Erwerbsminderungsrente keinen Urlaub nehmen konnten, nicht verfallen seien. Nach einem älteren Urteil des BAG, das auch vom EUGH bestätigt worden war, verfallen bei andauernder Arbeitsunfähigkeit die gesetzlichen Urlaubsansprüche spätestens 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahrs. In seinen beiden aktuellen Urteilen hat der EuGH nun entschieden, dass der Urlaubsanspruch auch bei Langezeiterkrankung oder Erwerbsminderung nicht einfach nach 15 Monaten verfallen darf. Falls der Arbeitgeber es versäumt habe, Beschäftigte auf den Urlaub und den möglichen Verfall hinzuweisen, dürfe der gesetzliche Urlaubsanspruch von Arbeitnehmern aus dem Jahr, in dem sie zunächst gearbeitet haben und Urlaub hätten nehmen können, nicht einfach verfallen, wenn sie in diesem Jahr erkranken oder die Erwerbsminderung eintritt. Ob die jeweiligen Arbeitgeber dies in den vorgelegten Fällen getan hatten, muss nun noch das BAG prüfen.
In einem dritten Fall hatte eine Klägerin wegen hohen Arbeitsanfalls bei ihrem Arbeitgeber über mehrere Jahre ihren Urlaub nicht bzw. nicht vollständig nehmen können. Bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis waren insgesamt 101 (!) Tage bezahlten Jahresurlaubs aufgelaufen, für welche die Klägerin Abgeltung verlangte. Ihr Arbeitgeber argumentierte, dass ein Großteil der Urlaubsansprüche nach der üblichen Frist von drei Jahren zum Jahresende verjährt sei. Dieser Auffassung erteilte der EUGH eine Absage: Zwar habe der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran, nicht mit Urlaubsanträgen konfrontiert zu werden, die auf mehr als drei Jahre vor Antragstellung erworbene Ansprüche zurückgehen. Voraussetzung sei aber, dass er zuvor auf den möglichen Urlaubsverfall hingewiesen und dafür gesorgt habe, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch auch tatsächlich wahrnehmen konnte.
Dies war im vorliegenden Fall nicht gegeben. (Anmerkung: Was nicht verwundern kann – die Ansprüche setzen sich aus den Jahren 2011 bis 2017 zusammen, also vor dem ersten EUGH-Urteil zu diesem Themenkomplex). Eine Verjährungspflicht beginnt also erst ab dem Zeitpunkt zu laufen, an dem der Arbeitgeber seiner Hinweispflicht nachgekommen ist.
Zusammenfassend können wir daher nur dringend raten, die Hinweise zu befolgen, die wir bereits Anfang 2019 gegeben haben. Arbeitgeber müssen zwingend folgendes beachten, damit Urlaubsansprüche verfallen können.
• Der Arbeitgeber hat alle Arbeitnehmer (auch Langzeiterkrankte, so sinnlos es erscheinen mag) individuell aufzufordern, ihren Urlaub zu nehmen. (Tipp: Ein kurzer Hinweis an den Arbeitnehmer über die Resturlaubstage oder ein genereller Appell hierzu an die Belegschaft am „Schwarzen Brett“, reicht nicht aus).
• Die Aufforderung muss hinreichend konkret formuliert sein. (Tipp: Ein allgemeiner Hinweis auf eine Regelung im Arbeits- oder Tarifvertrag reicht nicht).
• Die Aufforderung muss einen eindeutigen Hinweis auf den Verfall des Urlaubs bei nicht rechtzeitiger Inanspruchnahme enthalten.
• Die Aufforderung zur Inanspruchnahme des Urlaubs muss rechtzeitig erfolgen. (Tipp: Im Anschluss an die Aufforderung muss der Arbeitnehmer die Resturlaubsstage auch zeitlich noch vollständig nehmen können, bevor sie verfallen).
• Aus Beweisgründen sollte die Aufforderung des Arbeitgebers in Textform erfolgen und dem Arbeitnehmer nachweisbar zugestellt werden. Ein unverbindliches Muster kann dem „Arbeitgeberhinweis zur Inanspruchnahme des Urlaubs“ des Zentralverbands Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) entnommen werden, welches auf www.kfz-bw.de unter Mitglieder / Unser Service für Mitglieder / Downloads / Monatsdienst heruntergeladen werden kann.
(221-50/Julia Cabanis)