In der Tankstellenbranche wissen alle Beteiligten, dass die hohen Preise an den Zapfsäulen überhaupt nichts darüber aussagen, was an der Tankstelle mit Kraftstoffen verdient wird. Aber wie stellt man dies gegenüber der Öffentlichkeit dar? Medienvertreter, der ADAC und selbst der Präsident des Bundeskartellamts äußern öffentlich ihr Unverständnis darüber, dass die Entwicklung bei Rohöl- und Benzin- bzw. Dieselpreisen völlig unterschiedlich verläuft bis hin zu der Frage, warum Benzinpreise steigen, während gleichzeitig die Rohölpreise sinken (zum Wahrheitsgehalt des letzteren weiter unten mehr).
Die einfachste Antwort, nämlich, dass eben kein Rohöl getankt wird, würde sicherlich zu kurz greifen, doch sind die Hintergründe solcher Entwicklungen keineswegs so schwierig herauszufinden, wie dies immer gern dargestellt wird. Es ist alles nachzulesen, beispielsweise bei Argus Media. Wenn das Kartellamt die Informationsdienste dieses Anbieters nicht abonniert hat, sollte es wenigstens den Energie Informationsdienst (EID) abonnieren, der wöchentlich die verschiedenen Argus-Preisnotierungen zusammenfasst. Gleichzeitig bieten auch die öffentlich zugänglichen Beiträge von Argusmedia auf deren Webseite so viele Informationen, dass danach für Formulierungen wie „Da ist eine Blackbox zwischen Bohrloch und Zapfsäule…“ kein Raum mehr sein dürfte. Vor allem aber müsste man sich dann von dem typisch deutschen Blick auf die Preise verabschieden. Zwar ist das eigentliche Tankstellengeschäft ein regionales, doch der Handel mit Rohöl und Fertigprodukten ist ein weltweites Geschäft – die Versorgungssituation und die Nachfrage in den USA beeinflusst direkt die Preise in Europa und umgekehrt.
Beispielhaft sind einige dieser Informationen einmal zusammengefasst und können auf www.kfz-bw.de unter Mitglieder / Unser Service für Mitglieder / Downloads / Monatsdienst heruntergeladen werden.
Zunächst sind das Auszüge aus dem letzten EID. Auf der ersten Seite finden sich die Frachtraten der vergangenen Woche für die verschiedenen Strecken ab Rotterdam. Fast 100 Euro pro Tonne Differenz zwischen Ablieferungen in Duisburg oder Basel sind etwa acht Cent pro Liter. Während der absoluten Niedrigwasserzeit waren die Frachtraten übrigens mehr als doppelt so hoch. Dann finden sich die Rohölpreise in Dollar pro Barrel (und zwar für die unterschiedlichen Sorten) sowie die Fertigproduktpreise Northwest Europe. Diese unterscheiden teilweise auch fob und cif („free on board“ u. „cost, insurance, freight“ – wer mehr über incoterms wissen will, kann dies beispielsweise hier nachlesen).
Die nächste Seite zeigt die Entwicklung der verschiedenen Preisnotierungen für Fertigprodukte am Standort Rotterdam. Sie verdeutlichen, wie unterschiedlich sich die Preise für verschiedene Produkte (beispielsweis. Benzin und Diesel) entwickeln.
Auf der Seite 18 finden sich dann die Inlands-Preisnotierungen für Deutschland, in diesem Fall für den Stichtag 9. September, aufgegliedert für 11 verschiedene Regionen bzw. Abgabestellen. Man beachte den Preisunterschied für Diesel zwischen der Region Nord und Süd. Alle Preise sind übrigens ohne Umsatzsteuer, Frachtkosten und EBV-Abgabe. Dennoch wird zumindest klar, warum Diesel an süddeutschen Tankstellen teurer ist als an norddeutschen.
Auf derSeite 19 findet sich ein Beitrag, der viele Menschen (inkl. des Kartellamtspräsidenten?) überraschen dürfte: „Rohölgrenzpreis auf Rekordniveau.“ Der in den Medien gern genannte Rohölpreis pro barrel sagt nämlich nicht unbedingt etwas über den Rohölpreis aus, der hier in Deutschland von den Verarbeitern gezahlt werden muss. Währungsschwankungen, vor allem aber gestiegene Transportkosten (billiger als per Pipeline aus Russland geht nun einmal nicht) haben dafür gesorgt, dass sich der Preis in Euro pro Tonne für in Deutschland importiertes Rohöl gegenüber dem Vorjahr fast verdoppelt hat.
Wie gesagt, alle vorgenannten Informationen kann man sich jede Woche aus dem EID ziehen. Kommen wir jetzt zu Informationen, die man bei Argusmedia auf der Webseite kostenlos ansehen oder auch anhören kann. Von drei relativ aktuellen Beiträgen (2. September bzw. 14. September) hat der ZTG deepl.com Übersetzungen anfertigen lassen, die durchaus lesbar sind. Die Lektüre wird vom ZTG empfohlen.
Der Beitrag „Europäische Benzin-Crackspreads sinken auf 19-Monats-Tief“ erklärt, warum Benzin derzeit in Europa relativ billig ist (ja, tatsächlich!). Crack Spreads und ihre Bedeutung werden übrigens hier sehr gut erklärt.
Vom gleichen Tag stammt der Beitrag „Europäischer Diesel mit Rekordaufschlag gegenüber Benzin.“ Diesen Beitrag sollte man auf jeden Fall gelesen haben, allein, um zu lernen, dass Europa immer noch 10 Prozent seines Dieselbedarfs aus Russland bekommt. Die Tatsache, dass wir in Europa ein Überangebot an Benzin, aber einen Mangel an Diesel haben, stellt die Raffinerien vor folgendes Problem: „Laut Händlern könnten die Raffinerien jetzt ihre Rohölmengen erhöhen, um von den höheren Dieselmargen zu profitieren. Dies würde die Benzinpreise zusätzlich unter Druck setzen, da ein höherer Rohöldurchsatz tendenziell die Produktion aller Produkte erhöht. Die Raffinerien müssen daher abwägen, ob sie von den hohen Margen für Destillate profitieren oder Verluste bei der Benzinproduktion vermeiden wollen.“
Und die Dieselproblematik in Deutschland verschärft sich gerade, wie man im Beitrag „Umstellung von Gas auf Öl wird die deutsche Heizölnachfrage erhöhen“ nachlesen kann: „Die IEA erklärte heute, dass sie davon ausgeht, dass der zunehmende Einsatz von Öl in der Stromerzeugung im vierten Quartal dieses Jahres und in den ersten drei Monaten des Jahres 2023 zu einer zusätzlichen europaweiten Ölnachfrage von etwa 400.000-500.000 Barrel pro Tag führen wird, verglichen mit dem normalen saisonalen Trend.“ Nur zur Einordnung: 500.000 Barrel pro Tag entspricht ungefähr der Dieselmenge, die Russland derzeit noch nach Europa liefert.
Das wird sich spätestens zum Jahresende ändern, wenn kein russisches Öl und kein russischer Diesel mehr nach Europa fließen (dürfen). Speziell im Bereich der Mitteldestillate (Diesel, Heizöl u. Kerosin) wird es dann knapp in Deutschland. Alternative Importe sind aus verschiedenen Gründen schwierig, logistisch herausfordernd, aber auf jeden Fall preissteigernd. Wer sein Englisch testen möchte, kann sich dazu Einzelheiten bei diesem aktuellen Podcast anhören.
Noch einmal zusammengefasst: Der Mineralölmarkt ist zwar komplex, aber keinesfalls unerklärlich. Das Problem ist, wie bei vielen anderen Themen auch, dass Politik und Medien gern einfache Antworten auf komplexe Fragestellungen hätten. In diesem Fall kommt noch hinzu, dass der Ruf der Mineralölindustrie wahrscheinlich inzwischen so schlecht ist, dass ihre Verbände offenbar nicht einmal mehr versuchen, derartige Zusammenhänge zu erläutern.
(TS 110/Julia Cabanis)