Mit Monatsdienst September 2022 hatten wir über eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Az.: 1 ABR 22/21) informiert. Nach dieser sind Arbeitgeber verpflichtet, die Arbeitszeit aller Beschäftigten zu erfassen. Nun wurden die Entscheidungsgründe vom BAG veröffentlicht. Der Arbeitgeber ist laut BAG bereits gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeit der Beschäftigten zu erfassen. Diese Pflicht leitet das Gericht aus § 3 Absatz 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) ab, wonach Arbeitgeber zur Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel hierfür bereitzustellen haben. Diese Pflicht bestehe – so das BAG – unabhängig von der Regelung des § 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz (ArbZG), wonach eigentlich nur die über die werktäglichen acht Stunden hinausgehenden Stunden vom Arbeitgeber zu erfassen wären.
Hinweise des BAG zur Ausgestaltung eines Arbeitserfassungssystems:
Für Arbeitgeber bestehe laut dem BAG eine objektive gesetzliche Handlungspflicht, ein Arbeitszeiterfassungssystem umzusetzen. Bezüglich der konkreten Ausgestaltung eines solchen Arbeitszeiterfassungssystems bestünde jedoch aktuell – solange der Gesetzgeber noch keine allgemeingültige Regelung getroffen habe – ein Ausgestaltungsspielraum. Seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Mai 2019 (Az. C-55/18) sei hierbei nach dem BAG klar, dass es sich um ein objektives, verlässliches und zugängliches System handeln müsse.
Daraus ist zu schlussfolgern, dass
– ein solches System nicht zwingend elektronisch sein müsse,
– die Aufzeichnung auch in Papierform möglich wäre,
– eine Delegation an die Arbeitnehmer zulässig wäre.
Offen ist aktuell, ob auch für leitende Angestellte, die von der Anwendbarkeit des Arbeitszeitgesetzes ausgenommen sind – die Arbeitszeit zu erfassen ist. Das BAG äußert sich nicht ausdrücklich zu dieser Frage. Allerdings führt es aus, dass die entsprechende Ausnahmebestimmung im Arbeitszeitgesetz nicht einschlägig sei. Die Vertrauensarbeitszeit an sich bleibt auch nach dieser Entscheidung weiterhin möglich – allerdings mit der Einschränkung der Arbeitszeiterfassung.
Fazit:
Ausweislich der Entscheidung des BAG sind Arbeitgeber, die bislang die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten nicht bzw. nur im Rahmen der Vorgaben des § 16 ArbZG erfasst haben, zu einer umfangreichen Arbeitszeiterfassung verpflichtet. Inwieweit die Entscheidung dauerhaft Bestand haben wird ist derzeit unklar. Es ist davon auszugehen, dass geprüft werden wird, ob die Entscheidung verfassungsgemäß war.
Arbeitgeber sollten aktuell auf Basis der Entscheidung des BAG bestehende Arbeitszeiterfassungssysteme oder – sofern noch nicht geschehen – ggf. die Einführung von Prozessen zur Erfassung der Arbeitszeit überprüfen. Zu erfassen sind laut der Entscheidung des BAG Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeit einschließlich der Pausen.
Da das BAG die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung im allgemeinen Arbeitsschutz verankert, wird die Einhaltung dieser Pflicht – wie alle Aspekte des Arbeitsschutzes – von den Gesundheitsämtern überwacht. Ohne entsprechende Anordnung der Arbeitsschutzbehörde dürfte derzeit jedenfalls kein Bußgeld drohen, wenn der Arbeitgeber bislang nicht über ein System zur Arbeitszeiterfassung verfügt.
(221-00/Julia Cabanis)