Der Handel im Dilemma
Die Hälfte der Wirtschaft ist Psychologie. Diese oft zitierte und Ludwig Ehrhard zugeschriebene Aussage könnte derzeit nicht treffender formuliert werden. Der Automobilhandel befindet sich in einer derart komplexen Situation, bei der Psychologie zwar nicht hilft, aber vieles erklärt.
Auf der einen Seite sind die Automobilhersteller, die mit extrem schwierigen Rahmenbedingungen zu kämpfen haben. Auf der anderen Seite die privaten und gewerblichen Kunden, die sich mit Investitionen zurückhalten. Mittendrin der Handel, der E-Autos in den Markt bringen muss, diese aber bei Neu- und Gebrauchtwageninteressenten kaum Begehrlichkeiten wecken.
Kein Wunder also, dass über 80 Prozent aller Händler das kommende Jahr als gleich oder schlechter einschätzen. Und wenn Volumenhersteller wie VW oder Ford in Deutschland mit negativen Nachrichten in den Medien erscheinen, drückt das natürlich zusätzlich auf die Stimmung. Das ist die Psychologie, die Ludwig Ehrhard meinte. Es herrscht eine Standortkrise, die durch die politischen Umbrüche im Inland und die derzeit noch schwer einschätzbare Lage in den USA nicht besser zu werden scheint.
All das zeigt sich im aktuellen DAT Barometer deutlich. Der Markt kommt nicht richtig in die Gänge, hohe Kosten für nicht verkaufte Fahrzeuge belasten den Handel. Und wenn sich ein Interessent für einen neuen BEV entscheidet, dann wählt knapp die Hälfte die Leasing-Option und verlagert dadurch das Risiko der Vermarktung dieser Pkw in die Zukunft. Mit Blick auf die Politik könnte man mit dem damaligen Bundespräsidenten Herzog sagen, es wird Zeit, dass ein Ruck durch Deutschland geht.
Beschaffungssituation im Handel 2024 wird wieder etwas entspannter eingeschätzt
Die Zeiten der Mangellage scheinen vorbei zu sein, Fahrzeuge – vor allem neue – sind wieder in ausreichender Zahl verfügbar. Waren es durch die Ausläufer der Corona-Pandemie vor drei Jahren noch 92 Prozent der Händler, die den Einkauf von Neu- oder Werksdienstwagen als schwierig erachteten, sind es aktuell „nur noch“ 43 Prozent. Interessanter Aspekt in der Sortimentspolitik: Ein Drittel aller Händler kann sich vorstellen, chinesische Marken ins Portfolio aufzunehmen. Positiv zu bemerken ist auch: Junge Gebrauchte sind wieder stärker gefragt. Etwas mehr als die Hälfte der Händler (54 Prozent) könnte davon noch mehr gebrauchen und sieht daher deren Beschaffung als ausbaufähig.
Wirtschaftlich bleibt aus Sicht der Händler die Lage angespannt
Der Autohandel ist zwar Krisen gewohnt, blickt aber im zweiten Jahr der Rezession durchaus mit gemischt-negativen Gefühlen in die Zukunft. Fast die Hälfte aller Befragten (48 Prozent) glaubt, das kommende Jahr werde schlechter als das aktuelle, ein Drittel schätzt es identisch mit 2024 ein – und das ist beileibe kein gutes Jahr. Gerade einmal 16 Prozent der Händler sind da deutlich optimistischer und sagen, es werde besser. Hier lohnt sich ein Vergleich mit dem Jahr 2021: Damals, nach der ersten großen Corona-Welle, glaubten 51 Prozent der Händler an eine Besserung, nur 18 Prozent blickten pessimistisch in die Zukunft. Diese Situation hat sich nun ziemlich genau umgedreht.
Nachfrage nach neuen und gebrauchten E-Autos bleibt beim Handel verhalten
Aus Sicht des Handels sind E-Autos keine Selbstläufer. Der Beratungsbedarf bei Interessenten ist nach Aussage von 75 Prozent aller Händler, erhöht. Und trotz aller Anstrengungen stoßen neue E-Autos, so sagen es fast 90 Prozent aller Händler, nur auf geringes Interesse. Wenn sich allerdings der Interessent für ein E-Auto (meist ein neues) entscheidet, dann wählt über die Hälfte der privaten Käufer ein Leasingmodell: Die private Leasingquote bei BEV liegt dem Handel zufolge derzeit bei 48 Prozent. Wenn ein Endverbraucher nach einem gebrauchten E-Auto fragt, so können diese Pkw nach Aussage von 77 Prozent der Händler nur mit starken Nachlässen verkauft werden.
Was nicht verkauft wird, kostet Zeit und Geld – die Standtage im Handel sprechen eine klare Sprache
Die Standtage im Handel sind ein teures Unterfangen. Jeder einzelne Tag, den ein Gebrauchtwagen verkaufsfertig in der virtuellen und physischen Ausstellung steht, kostet derzeit im Schnitt 30 Euro. Dies ist eine deutliche Steigerung zum Vorjahr (23 Euro), denn auch hier machen sich gestiegene Kosten wie das Bewerben der Pkw in Online-Marktplätzen, die Kosten für Fotografie, Bildbearbeitung, Marketing, Beseitigung von Standschäden etc. bemerkbar. 82 Tage im Schnitt stehen gebrauchte Benziner, 86 Tage gebrauchte Diesel. Für den Handel keine optimale Situation, zumal der aktuellen Befragung zufolge 30 Prozent seiner Gebrauchten als Risikobestand gelten – also länger als 90 Tage stehen.
Die Werte gebrauchter BEV liegen deutlich unter den Verbrennern
Zum Jahresende zeigt sich auf dem Gebrauchtwagenmarkt eine auffällige Tendenz. Die Verkaufspreise beim Handel an Endverbraucher für dreijährige Gebrauchtwagen entwickeln sich je nach Antriebsart in unterschiedliche Richtungen. Verbrenner steigen, batterieelektrische Pkw stagnieren – oder anders formuliert: Der Handel kann seine gebrauchten Verbrenner etwas teurer verkaufen, seine gebrauchten BEV zu stabil-niedrigeren Preisen. Benziner erzielen beim Verkauf noch 63,9 Prozent ihres ehemaligen Listenneupreises, BEV wie im Vormonat noch 50,8 Prozent – eine Differenz zum Benziner von 13,1 Punkten. Diesel liegen bei 61,9 Prozent.
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