Die Europäische Kommission hat am 21. Mai 2025 die Binnenmarktstrategie veröffentlicht. Im Zentrum stehen die zehn größten Binnenmarkthindernisse („terrible ten“), darunter bürokratische Hürden bei Arbeitsmobilität, Entsendung, Berufsqualifikationsanerkennung sowie fragmentierte Vorschriften und fehlende Normen. Um den europäischen Binnenmarkt zu stärken und die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu sichern, kündigte die EU-Kommission weitere Omnibus-Gesetze zum Bürokratieabbau an und plant, bestehende Handels- und Investitionshindernisse abzubauen.
Zentrale Maßnahmen und Ziele:
• Arbeitsmobilität und Entsendung: Die komplexen Prozesse bei Arbeitsmobilität gehören zu den am häufigsten gemeldeten Binnenmarkthindernissen. Die Kommission bittet das Europäische Parlament und den Rat, eine schnelle Einigung bei dem Verordnungsvorschlag für eine einheitliche digitale EU-Entsendemeldung („eDeclaration“) und der Revision der Verordnung 883/2004/EG zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (worunter auch die A1-Bescheinigung fällt) zu erzielen. Nächstes Jahr wird die Kommission ein Arbeitsmobilitätspaket veröffentlichen, das einen Vorschlag für einen europäischen Sozialversicherungspass (ESSPASS), die Anpassung des Mandats der Europäischen Arbeitsbehörde und Erleichterungen für grenzüberschreitende Dienstleistungen vorsieht.
• Berufsqualifikationen: Digitalisierung und Automatisierung der Anerkennungsverfahren, auch für Drittstaatsangehörige (ab 04 2026).
• Dienstleistungsfreiheit: Sektoraler Ansatz mit Fokus auf Digitalisierung und grüne Transformation, Erleichterungen für industrienahe Dienstleistungen und reglementierte Berufe.
• Durchsetzung der Binnenmarktregeln: die Mitgliedstaaten ernennen nationale Sonderbeauftragte (Sherpas) an höchster Stelle, die sicherstellen, dass die Staaten bei neuen Gesetzen keine neuen Hürden errichten. Das gilt auch für eine unnötig komplizierte Umsetzung neuer EU-Gesetze in nationales Recht („Gold-Plating“). Zudem sollen sich die Sherpas untereinander austauschen. (SMET-Taskforce, mögliche Vertragsverletzungsverfahren bei Untätigkeit der Mitgliedstaaten).
• Stärkung von KMU: Geplante Entlastung kleiner und mittlerer Unternehmen durch digitale Prozesse, reduzierte Berichtspflichten (z. B. bei Nachhaltigkeit), einfacheren Marktzugang und weniger Bürokratie.
Die geplante Vereinfachung und Überarbeitung bestehender Regeln ist ein richtiger Schritt. Wichtig ist aber die Verankerung konkreter Ziele, wie die Reduktion der Verwaltungslasten um 25 Prozent, wie im Wettbewerbsfähigkeitskompass formuliert.
Neue KMU-Definition – Folgen für Förderprogramme
Kritisch bewerten wir die vierte Omnibus Regelung für „Small Mid-Caps“: mit einer Obergrenze von 749 Mitarbeitenden sind diese viel zu niedrig. Die Neudefinition von kleinen mid-caps hätte Anlass zur Überprüfung der seit 2003 unveränderten KMU-Definition geboten. Die aktuelle EU-Definition von KMU basiert auf der Empfehlung 2003/361/EG und klassifiziert Unternehmen als KMU, wenn sie weniger als 250 Beschäftigte haben und entweder einen Jahresumsatz von höchstens 50 Millionen Euro oder eine Jahresbilanzsumme von maximal 43 Millionen Euro aufweisen. Diese Definition dient als Grundlage für zahlreiche Förderprogramme und beihilferechtliche Regelungen auf EU-Ebene. Der baden-württembergische Mittelstand setzt sich für eine Überarbeitung der EU-Definition von KMU ein, um den spezifischen Anforderungen und Strukturen der mittelständischen Wirtschaft in der Region besser gerecht zu werden, den Zugang zu Förderprogrammen zu erleichtern und administrative Hürden zu reduzieren.
Was ist zu kritisieren?
• Eine EU-weite Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung fehlt – eine zentrale Schwäche für grenzüberschreitende Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit.
• Der Automobilsektor sieht sich weiterhin mit uneinheitlichen Zulassungsverfahren für automatisiertes Fahren konfrontiert – eine dringend zu schließende Regulierungslücke.
• Der Vorrang harmonisierter Normen gegenüber Spezifikationen sollte beibehalten werden. Das bewährte Europäische Normungssystem ist eine tragende Säule des wirtschaftlichen Erfolgs der EU.
Laut Exekutiv-Vizepräsident Stéphane Séjourné ist die Strategie ein Aufruf an die europäischen Akteure zur engeren Zusammenarbeit. Ziel sei es, europäische Unternehmen zunächst auf den europäischen Binnenmarkt auszurichten („europäisieren“) und dann zu internationalisieren. Die Strategie soll durch Vereinfachung, Vereinheitlichung und Digitalisierung die Grundlage für ein wettbewerbsfähiges, resilientes Europa schaffen. Die Fragmentierung der Märkte verwundert nicht, wenn bereits Berechnungsgrundlagen, Berichtsvorgaben oder Legaldefinitionen, die demselben Zweck dienen, in europäischen Rechtstexten variieren.
Die Strategie ist somit ein überfälliger und grundsätzlich begrüßenswerter Schritt zur Stärkung des Binnenmarkts. Die angekündigten Maßnahmen müssen jetzt konsequent zügig umgesetzt und mit konkreten Zielen und Standards hinterlegt werden. Besonders bei der Arbeitsmobilität, Digitalisierung und Bürokratieabbau für KMU setzt die Kommission wichtige Impulse – gleichzeitig bestehen erhebliche Lücken, etwa in der Steuerharmonisierung und sektorübergreifenden Regulierung.
Die Pressemitteilung der Europäischen Kommission mit weiteren Informationen kann über www.kfz-bw.de/monatsdienst heruntergeladen werden.