In zwei neueren Entscheidungen hat sich das Oberlandesgericht (OLG, Az.: 6 U 57/24 und Az.: 6 U 126/24) Stuttgart intensiv mit diversen Rechtsfragen rund um den Widerruf von Kfz-Online-Kaufverträgen befasst, die mit Verbrauchern im Wege des Fernabsatzes geschlossen wurden. Allerdings weichen einige der vom OLG vertretenen Rechtsauffassungen von der gefestigten oder neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) oder anderen Oberlandesgerichten ab. Aus diesem Grund hat das OLG Stuttgart die Revision zum BGH zugelassen.
Kein Ausschluss des Widerrufsrechts durch Konfiguration eines Neuwagens anhand vorgegebener Listen
Nach den für Fernabsatzverträge geltenden Regelungen steht dem Verbraucher kein Widerrufsrecht zu, wenn für die Herstellung des Kaufgegenstands eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder er eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten ist (§ 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB). Der Grund hierfür ist, dass eine speziell für den Verbraucher hergestellte Ware nach einem etwaigen Widerruf des Kaufvertrages vom Händler nicht oder nur noch mit erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen weiterverkauft werden kann.
Das OLG Stuttgart legt diese Regelung eng aus. Selbst wenn der Käufer sein Wunschneufahrzeug nach bestimmten Spezifikationen (z.B. Modell, Motorisierung, Art des Antriebs, Farbe, Lackierung, Art der Felgen, Innenausstattung, etwaige Sonderausstattungen usw.) aus einer dem Käufer bereitgestellten Liste nach seinen persönlichen Wünschen konfiguriert hat, ist das Widerrufsrecht des Verbrauchers im Regelfall nicht ausgeschlossen. Ein Ausschluss des Widerrufsrechts wegen Anfertigung der Ware „nach Kundenspezifikation“ kommt nur dann in Betracht, wenn der Händler durch die Rücknahme des Neufahrzeugs erhebliche wirtschaftliche Nachteile erleidet, die spezifisch damit zusammenhängen und dadurch entstehen, dass das Fahrzeug nach den besonderen Wünschen des Verbrauchers angefertigt wurde. Die Nachteile, die mit der Rücknahme von Fahrzeugen stets verbunden sind, reichen hierfür nicht aus. Ebenso wenig verbaute Sonderausstattung, wenn diese ohne Beeinträchtigung der Substanz des Fahrzeugs mit geringem Aufwand wieder aus- oder abgebaut werden kann.
Kein Ausschluss des Widerrufsrechts durch Zulassung und Ingebrauchnahme eines Neufahrzeugs
Insbesondere durch die Erstzulassung eines Fahrzeugs auf den Namen des Kunden erleidet das Fahrzeug einen Wertverlust. Dennoch wird das Widerrufsrecht des Verbrauchers hierdurch nicht ausgeschlossen, weil es rechtlich gesehen nicht in einer Weise individualisiert wird, dass es nach der Rücknahme nicht mehr oder nur noch mit erheblichen Schwierigkeiten absetzbar ist und damit für den Händler wirtschaftlich wertlos wird.
Abstrakte Wiedergabe der Voraussetzungen eines Widerrufsrechts in einer Widerrufsbelehrung ist nach BGH-Rechtsprechung ausreichend
Durch die Widerrufsbelehrung ist der Verbraucher darüber in Kenntnis zu setzen, ob für ihn ein Widerrufsrecht besteht. Abweichend vom gesetzlichen Muster nutzen Kfz-Händler hierfür auch die nachfolgende Formulierung.
Widerrufsbelehrung
Widerrufsrecht
Wenn Sie ein Verbraucher sind und diesen Vertrag ausschließlich unter der Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (wie z.B. über das Internet, per Telefon, E-Mail o.ä.) geschlossen haben, haben Sie das Recht, binnen vierzehn Tagen ohne Angabe von Gründen diesen Vertrag nach den nachstehenden Regelungen zu widerrufen.
(…)
Nach Ansicht des OLG Stuttgart hält diese Formulierung den gesetzlichen Vorgaben für eine Widerrufsbelehrung nicht stand. Das OLG begründet seine Rechtsauffassung damit, dass in der Widerrufsbelehrung lediglich die gesetzlichen Voraussetzungen des Widerrufsrechts in personeller und sachlicher Hinsicht abstrakt wiedergegeben werden und der Händler es dem Verbraucher überlässt, zu prüfen, ob diese Voraussetzungen in seinem Fall erfüllt sind und ihm ein Widerrufsrecht zusteht. Nach Ansicht des OLG Stuttgart ist aber der Händler und nicht der Verbraucher dazu verpflichtet, das Bestehen oder Nichtbestehen des Widerrufsrechts zu prüfen.
Demgegenüber hat der BGH (Az.: I ZR 123/10) bereits in seinem Urteil entschieden, dass der Händler nicht zu prüfen braucht, ob der Adressat der Widerrufsbelehrung Verbraucher oder Unternehmer ist, zumal ihm eine solche Prüfung bei einem Fernabsatzgeschäft häufig gar nicht möglich ist. In dem damaligen Rechtsstreit hatte der Händler die Überschrift „Widerrufsrecht“ um einen Zusatz ergänzt, so dass sie wie folgt lautete: „Verbraucher haben das folgende Widerrufsrecht“, was der BGH für zulässig hält.
Inzwischen haben das Kammergericht (KG Berlin; Az.: 27 U 33/24) und im Anschluss daran der BGH (Az.: VIII ZR 143/24) in seinem Beschluss entschieden, dass auch die eingangs dargestellte Widerrufsbelehrung, die das Bestehen eines Widerrufsrechts an die Verbrauchereigenschaft und die ausschließliche Verwendung von Fernkommunikationsmitteln für den Vertragsschluss knüpft, ausreichend ist. Durch die gewählte Formulierung würde der Verbraucher „zweifelsfrei“ weder über die persönliche noch über die sachliche Reichweite seines Widerrufsrechts irregeführt. Vielmehr wird dem Verbraucher in diesem Falle allein die Rechtslage verdeutlicht und die Belehrung wird dadurch nicht unübersichtlich.
Fehlende Angabe der Telefonnummer führt nicht zur Unwirksamkeit der Widerrufsbelehrung
Enthält die Widerrufsbelehrung keine Telefonnummer, bleibt sie dennoch wirksam, sofern dem Verbraucher andere Kommunikationswege – wie z.B. die Postanschrift und E-Mail-Adresse – mitgeteilt werden. Damit hat sich das OLG Stuttgart der BGH-Rechtsprechung im vorgenannten Beschluss ausdrücklich angeschlossen.
Auch unberechtigte Übertragung der Rücksendekosten auf den Verbraucher setzt nach BGH-Rechtsprechung Widerrufsfrist in Gang
Der Verbraucher trägt die Kosten der Rücksendung eines Fahrzeugs nur dann, wenn der Händler ihn in der Widerrufsbelehrung über deren Höhe ausdrücklich informiert hat. Kann der Händler diese Kosten nicht konkret beziffern, muss er die voraussichtlich anfallenden Höchstkosten schätzen und in der Widerrufsbelehrung angeben.
Teilt der Händler dem Verbraucher diese Kosten der Rücksendung in der Widerrufsbelehrung nicht mit, stellt sich die Frage, ob neben dem Wegfall der Kostentragungspflicht des Verbrauchers die Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt, wenn dem Verbraucher in der Widerrufsbelehrung fälschlicherweise mitgeteilt worden ist, dass dieser die Kosten der Rücksendung zu tragen hat.
Das OLG Stuttgart vertritt die Ansicht, dass die Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt, weil die Widerrufsbelehrung inhaltlich unrichtig ist.
Das sieht der BGH (Az.: VIII ZR 143/24) anders. Der Beginn der Widerrufsfrist hängt nach der gesetzlichen Regelung nur von einer ordnungsgemäßen Information über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts sowie das Muster-Widerrufsformular ab (Art. 246a § 1 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB), nicht hingegen von einer ordnungsgemäßen Information über die Kosten der Rücksendung (Nr. 2).
Das führt nach Ansicht des BGH „zweifelsfrei“ dazu, dass trotz fehlerhafter Information über die Kostentragungspflicht des Verbrauchers die Widerrufsfrist auch dann zu laufen beginnt, wenn der Händler in der Widerrufsbelehrung keine Angaben zur Höhe der Rücksendekosten gemacht hat.
Händler darf die Rückzahlung des Kaufpreises nicht verweigern, wenn er die Annahme des Fahrzeugs zu Unrecht abgelehnt hat
Nach der gesetzlichen Regelung ist der Verbraucher vorleistungspflichtig. Sofern der Händler dem Verbraucher nicht angeboten hat, das Fahrzeug bei ihm abzuholen, darf der Händler die Rückzahlung des Kaufpreises verweigern, bis er das Fahrzeug zurückerhalten hat oder der Verbraucher den Nachweis erbracht hat, dass er das Fahrzeug abgesandt hat (§ 357 Abs. 4 und 6 BGB).
Beauftragt der Verbraucher kein Transportunternehmen, um das Fahrzeug zum Händler bringen zu lassen, und bringt er es stattdessen selbst zum Verkäufer, liegt auch darin eine „Rücksendung“ im Sinne des Gesetzes. Der Händler darf die Annahme des Fahrzeugs auch nicht deshalb verweigern, weil der Verbraucher die Rückgabe nicht angekündigt und keinen Termin vereinbart hatte. Der Verbraucher ist vielmehr berechtigt, das Fahrzeug innerhalb der allgemeinen Geschäftszeiten am Sitz des Händlers abzugeben.
Wertersatzanspruch des Händlers setzt ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung voraus
Der Wertverlust eines Fahrzeugs, der auf einem Umgang mit dem Fahrzeug beruht, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise des Fahrzeugs nicht notwendig war, ist dem Händler dann nicht zu ersetzen, wenn der Verbraucher in der Widerrufsbelehrung nicht über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts sowie das Muster-Widerrufsformular belehrt worden ist.
Das gilt nach Ansicht des OLG Stuttgart auch für den Fall, dass der Verbraucher hierüber nicht ordnungsgemäß belehrt worden ist. Eine fehlerhafte Belehrung ist einer gänzlich fehlenden Belehrung jedenfalls dann gleichzustellen, wenn die Mängel der Belehrung so gewichtig sind, dass sie sich auf die Befähigung des Verbrauchers, den Umfang seiner Rechte und Pflichten einzuschätzen, auswirken.
Selbst die Weiternutzung des Fahrzeugs nach erfolgtem Widerruf führt nicht dazu, dass es dem Verbraucher nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt ist, sich auf den gesetzlich angeordneten Wegfall der Wertersatzpflicht zu berufen.
Kosten für eine Nachrüstung des Fahrzeugs mit Sonderausstattung muss der Händler nicht zwangsläufig erstatten
Ist der Einbau von Sonderausstattung nicht Gegenstand des Kaufvertrages, hat der Händler dem Verbraucher die Kosten für eine erst später beauftragte Nachrüstung des Fahrzeugs jedenfalls nicht nach den für einen Widerruf von Fernabsatzverträgen geltenden Regelungen zu erstatten.
Eine Erstattungspflicht könnte allenfalls auf einer entsprechenden Anwendung des für den Rücktritt vom Kaufvertrag geregelten Verwendungsersatzanspruchs beruhen. In diesem Falle würde sie aber auch nur bestehen, wenn es sich bei der nachträglich verbauten Sonderausstattung um eine „notwendige Verwendung“ handelt oder wenn der Händler hierdurch „bereichert“ wird.

Notwendig sind allerdings nur solche Verwendungen, die für die Erhaltung und Nutzung des Fahrzeugs objektiv erforderlich sind. Die Nachrüstung des Fahrzeugs mit einer Anhängerkupplung fällt nach Ansicht des OLG Stuttgart jedenfalls nicht hierunter.
Ob der Händler durch die Nachrüstung bereichert wird, hängt zunächst davon ab, ob das Fahrzeug hierdurch eine Wertsteigerung erfahren hat. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Händler sich eine Bereicherung nicht aufdrängen lassen muss.
Für die Weiternutzung des Fahrzeugs nach erfolgtem Widerruf schuldet der Verbraucher dem Händler Schadensersatz
Der Verbraucher, der sein Widerrufsrecht ausgeübt hat, damit der Kaufvertrag rückabgewickelt wird, hat in Bezug auf das Fahrzeug keine weitergehenden Rechte/Befugnisse als während des Laufs der Widerrufsfrist. Bis zum Widerruf des Kaufvertrages steht ihm nur ein Prüfungsrecht zu. Deshalb darf der Verbraucher das Fahrzeug grundsätzlich nicht gebrauchen. Durch den nach Widerruf erfolgten Gebrauch des Fahrzeugs begeht der Verbraucher daher in dem Wissen, das Fahrzeug zurückgeben zu müssen, eine in der Regel schuldhafte Pflichtverletzung. Den durch die Nutzung des Fahrzeugs entstandenen Schaden hat er dem Händler daher zu ersetzen (§ 280 Abs. 1 BGB).
Praxistipp
Nach wie vor raten wir Autohändlern, Widerrufsbelehrungen nach dem gesetzlichen Muster für eine Widerrufsbelehrung bei Fernabsatzverträgen zu erstellen. Nur dieser kommt die gesetzliche Schutzwirkung zugute, so dass die in der Regel 14-tägige Widerrufsfrist sicher in Gang gesetzt wird.