Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH, Az.: C-100/21) bereits im März dieses Jahres entschieden hatte, dass Käufern von Dieselfahrzeugen, die mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form eines sog. Thermofensters ausgestattet sind, Schadenersatzansprüche gegen den Hersteller auch dann zustehen können, wenn dem Fahrzeughersteller lediglich fahrlässiges Handeln zur Last gelegt werden kann (Bericht im Monatsdienst 04/2023), wurde mit Spannung die erste Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) nach Erlass des EuGH-Urteils erwartet. Mit Urteilen vom 26.06.2023 (Az. VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22) hat der BGH in drei Verfahren gegen VW, Audi und Mercedes entschieden, unter welchen Voraussetzungen eine deliktische Haftung der Fahrzeughersteller wegen der Nutzung von Thermofenstern besteht. Der Pressemitteilung des BGH lässt sich hierzu folgendes entnehmen:
1. Beim Erwerb eines Kraftfahrzeugs, das zur Serie eines genehmigten Typs gehört und mit einer Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist, kann der Käufer nach der Rechtsprechung des EuGH vernünftigerweise erwarten, dass der Fahrzeughersteller die Anforderungen und Prüfungen für die Erteilung der Typgenehmigung erfüllt hat. Wird er in diesem Vertrauen enttäuscht, kann er von dem Fahrzeughersteller, der die Übereinstimmungsbescheinigung ausgegeben hat, Schadensersatz nach Maßgabe des nationalen Rechts verlangen.
2. Der Käufer muss das Vorhandensein einer Abschalteinrichtung darlegen und beweisen. Maßgeblich hierfür ist Art. 5 Abs. 2 der Typgenehmigungs-Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Danach gilt, dass die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, in der Regel unzulässig ist.
3. Der Fahrzeughersteller muss darlegen und beweisen, dass die Abschalteinrichtung ausnahmsweise zulässig war. Das ist z.B. dann der Fall, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Gelingt dem Hersteller dieser Beweis, liegen die Voraussetzungen einer Haftung nicht vor.
4. Stellt sich heraus, dass die Verwendung der Abschalteinrichtung unzulässig ist, muss der Fahrzeughersteller darlegen und beweisen, dass er bei der Ausgabe der Übereinstimmungsbescheinigung weder vorsätzlich gehandelt noch fahrlässig verkannt hat, dass das Fahrzeug den unionsrechtlichen Vorgaben nicht entspricht. Sofern sich der Fahrzeughersteller zu seiner Entlastung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen sollte, ist anhand der vom BGH entwickelten Grundsätze zu prüfen, ob ein solcher tatsächlich vorliegt. Kann sich der Fahrzeughersteller von jedem Verschulden entlasten, haftet er nicht.
5. Sofern die Voraussetzungen für eine Haftung des Fahrzeugherstellers vorliegen, haftet dieser „nur“ auf Ersatz des Differenzschadens. Dem Käufer steht kein Rücktrittsrecht zu! Eine Rückabwicklung des Kaufvertrages unter Anrechnung von Nutzungsvorteilen könnte der Käufer vom Hersteller nur verlangen, wenn er von diesem nachweislich vorsätzlich, sittenwidrig geschädigt worden ist.
6. Es ist davon auszugehen, dass Käufer, die Dieselfahrzeuge mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung erworben haben, stets einen Schaden erleiden, weil die Verfügbarkeit des Fahrzeugs aufgrund einer drohenden Betriebsbeschränkung oder Betriebsuntersagung in Frage steht. Das Vorhandensein eines Schadens muss daher weder durch ein Sachverständigengutachten bestätigt noch kann es durch ein solches in Frage gestellt werden. Zugunsten des Käufers greift im Übrigen der Erfahrungssatz, dass er im Falle der Ausstattung des Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung das Fahrzeug nicht zu dem vereinbarten Preis gekauft hätte.
7. Dem Käufer steht ein Schadensersatz in Höhe von wenigstens 5 Prozent und höchstens 15 Prozent des gezahlten Kaufpreises zu. Auf den vom Tatrichter zu schätzenden Betrag muss sich der Käufer Vorteile nach den vom BGH entwickelten Grundsätzen für die Vorteilsausgleichung beim kleinen Schadensersatzes nach §§ 826, 31 BGB anrechnen lassen.
8. Ergänzender Hinweis: Für deliktische Ansprüche gilt die regelmäßige Verjährungsfrist von 3 Jahren (§ 195 BGB). Die Frist beginnt mit Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den Umständen Kenntnis erlangt, die den Anspruch begründen (§ 199 Abs. 1 BGB).