Der Europäische Gerichtshof hat sich innerhalb kurzer Zeit zweimal mit dem Zugang zu technischen Informationen der Fahrzeughersteller beschäftigt.
EuGH-Urteil zum Zugang zu technischen Informationen der Fahrzeughersteller
Der Europäische Gerichtshof (EuGH, Az.: C-319/22) hat in seinem Urteil in der Rechtssache Gesamtverband Autoteile-Handel e. V. (GVA) gegen Scania CV AB (Rechtssache C-319/22) erneut die Datenüberlassungspflichten der Automobilindustrie gegenüber unabhängigen Wirtschaftsteilnehmern wie Werkstätten, Ersatzteilhändlern und Herausgebern technischer Informationen bestätigt. Im Mittelpunkt stand diesmal die Klage des GVA gegen den Lkw-Hersteller Scania CV AB auf Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen.
Im Mittelpunkt der Entscheidung stand die Frage, welche Informationen für die Reparatur und Wartung von Fahrzeugen in welcher Form zur Verfügung gestellt werden müssen. Weitere Kernfrage des Rechtsstreits betraf den Zugang zur Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) und deren Rolle als potenziell personenbezogenes Datum im Rahmen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).
Gemäß der Typgenehmigungsverordnung (EU) 2018/858 müssen Fahrzeughersteller unabhängigen Marktteilnehmern technische Informationen in Form von „maschinenlesbaren und elektronisch verarbeitbaren Datensätzen“ zur Verfügung stellen. Lange Zeit war umstritten, ob dies für alle Kategorien von technischen Informationen gilt, ob Fahrzeughersteller die FIN ihrer Fahrzeuge angeben und in welchem Format die Informationen bereitgestellt werden müssen.
Der EuGH hat diese Fragen nun zugunsten der unabhängigen Marktteilnehmer beantwortet. Nach dieser Entscheidung müssen für die Reparatur und Wartung der Fahrzeuge die Fahrzeughersteller die jeweilige FIN und alle damit zusammenhängenden technischen Informationen als Datensätze in einem Format anbieten, das für eine direkte elektronische Verarbeitung geeignet ist. Die Datenbanken, die die Fahrzeughersteller vorhalten, müssen umfassend durchsuchbar sein. Die Suche muss nicht nur nach der FIN, sondern auch nach den vorgesehenen „zusätzlichen Merkmalen“, z. B. Radstand, Motorleistung oder Ausstattungsvariante, möglich sein sowie Informationen über alle Originalteile des Fahrzeugs enthalten.
Unabhängige Marktteilnehmer müssen in der Lage sein, technische Informationen aus dem Format zu extrahieren, in dem die Fahrzeughersteller ihnen die erforderlichen Daten zur Verfügung stellen, und diese Daten unmittelbar nach ihrer Erfassung für die Weiterverwendung zu speichern. PDF-Dateien werden dieser Anforderung nicht gerecht. Eine Datenbankschnittstelle, die eine maschinengesteuerte Abfrage ermöglicht, muss jedoch nicht vorgehalten werden.
Auswirkungen für Betriebe im Kfz-Gewerbe
Dieses Urteil bringt weitere Klarheit zum Umfang und zur Art und Weise, wie Fahrzeughersteller den unabhängigen Wirtschaftsakteuren (z. B. Reparaturwerkstätten und Ersatzteilhändler) Zugang zu Reparatur- Wartungs- sowie Ersatzteilinformationen gewähren müssen. Konkret bedeutet dies, dass unabhängigen Marktteilnehmern Zugang zu technischen Informationen, wie u. a. über Originalteile des Fahrzeugs, nicht nur auf der Grundlage der FIN, sondern auch auf der Grundlage von zusätzlichen Merkmalen ermöglicht werden muss.
EuGH-Urteil für eine Entlastung der Kfz-Betriebe und einen fairen Wettbewerb
In der Rechtssache Carglass GmbH/A.T.U Auto-Teile-Unger GmbH & Co. KG gegen FCA Italy SpA (Rechtssache C-296/22) hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) für einen bedeutenden Schritt zur Entlastung der Kfz-Betriebe beim Zugang zu Fahrzeugdaten über die OBD-Schnittstelle entschieden.
Der EuGH entschied zugunsten der unabhängigen Werkstätten. Er führte aus, dass zusätzliche Schutzmaßnahmen die Wettbewerbsfähigkeit der Werkstätten beeinträchtigen und gegen die Typgenehmigungsverordnung (EU) 2018/858 verstoßen würden. Er stellte klar, dass unabhängige Wirtschaftsakteure uneingeschränkten Zugang zu den benötigten Informationen für ihre Aufgaben im Bereich der Fahrzeugreparatur und -wartung haben müssen, ohne dass für sie andere als die in der Verordnung vorgesehenen Bedingungen gelten. Konkret bedeutet dies, dass unabhängigen Marktteilnehmern der Zugriff auf den „vollständigen Diagnosedatenstrom“ über die OBD-Schnittstelle gewährt werden muss. Im Weiteren muss das Lesen und Schreiben von Diagnosedaten im Stillstand und während der Fahrt des Fahrzeugs ermöglicht werden.
Der EuGH erkennt an, dass die Einhaltung der UNECE-Regelung R155 zur Cybersicherheit von Fahrzeugen die Fahrzeughersteller nicht von ihren Verpflichtungen im Rahmen der Typgenehmigungsverordnung (EU) 2018/858 entbindet. Der EuGH stellt klar, dass die durch die Fahrzeughersteller festgelegten Bedingungen für den Zugang zum Fahrzeug, wie eine dauerhafte Online-Anbindung und eine Registrierung beim Fahrzeughersteller, die Zugangsrechte unabhängiger Marktteilnehmer beschränken und somit nicht rechtmäßig sind.
Die Fahrzeughersteller müssen nach diesem EuGH-Urteil ihre Strategien für den Datenzugriff und die Datensicherheit überprüfen, insbesondere die von ihnen bislang geübte Zugangsgewährung.
Unabhängige Reparaturbetriebe können zukünftig möglicherweise (hier bleibt das Ergebnis einer Entscheidung des OLG Köln und evtl. später des BGH abzuwarten) von einem erleichterten Zugang zu Fahrzeugdaten profitieren, was zu einem verstärkten Wettbewerb und möglicherweise zu niedrigeren Kosten für ihre Kunden führen kann.